Es ist das vorletzte Kriegsjahr, bisher hatten die Bomben, die auf Halberstadt fielen die Innenstadt verschont. Wertvolle Sammlungen lagern in den Museen und Archiven rund um den Domplatz. Die Gefahr einer Vernichtung steigt.
Das Vorrücken der Alliierten und der sowjetischen Streitkräfte ist mittlerweile kaum noch zu leugnen. Was soll aus den Kunstschätzen in der Stadt werden, die Gefahren einer Zerstörung kommen immer näher, oder werden sie als Kriegsbeute aus dem Lande geschafft? 1944 fiel die Entscheidung. 90 Prozent der über Jahrhunderte gewachsenen Sammlung historischer Bestände im hiesigen Stadtarchiv wurden in die Schachtanlage der Deutschen Solvay Werke AG Plömnitz bei Bernburg ausgelagert, ca. 80 Kisten und 1000 Aktenpakete gingen auf eine ungewisse Reise. Vor dem Schicksal des Unterganges während des verheerenden Bombenangriffs auf Halberstadt am 8. April 1945 blieben sie somit verschont. Doch sie wurden gefunden. Sowjetische Truppen spürten das Versteck auf und die neue Besatzungsmacht beschlagnahmte die Bestände und brachte sie in Bibliotheken und Archive in die Sowjetunion.
Seit dem Wiederaufbau des Stadtarchivs 1945 kehren immer wieder Archivalien über Umwege zurück nach Halberstadt.
Bereits 1959 kamen große Teile wieder zurück in die Heimat. 80 Kisten mit Archivalien fanden den Weg über Berlin nach Halberstadt.
Weitere Rückführungen erfolgten 1991 über Verteilungsstellen in Bremen und Lübeck und 1993 über das Bundesarchiv in Potsdam. 1994 konnte weiteres wertvolles Archivgut über Lübeck zurückgeführt werden. 1998 gab es Rückgaben, die den Weg über Hamburg nahmen und 2004 erhielt das Archiv wertvolle Bestände der ehemaligen Domgymnasialbibliothek über Lübeck zurück.
Im Jahre 2007 konnten an Leipzig zurückgegebene Bestände als Teile der ehemaligen Lucanischen Bibliothek identifiziert werden. Heute nun fanden wieder drei wertvolle Handschriften ihren Weg nach Hause.
Im Rahmen der Ausstellungseröffnung „Kult und Wissen. Handschriften in Halberstadt durch die Jahrhunderte“ übergab Prof. Dr. Overgaauw (Leiter der Handschriftenabteilung der Staatsbibliothek zu Berlin) die Handschriften dem Oberbürgermeister der Stadt Halberstadt. Eine der Handschriften ist momentan als Leihgabe für die Ausstellung im Dom zu besichtigen.
In seinem Vortrag erzählte Prof. Dr. Overgaauw von ihrer Reise. Die Handschriften gehörten zu einem riesigen Konvolut an Beständen, die in den 1990er Jahren zurückgeführt wurden. Die deutsche Regierung überantwortete diese der Staatsbibliothek zu Berlin mit der Aufgabe der Ermittlung der einzelnen Eigentümer, ein langwieriges Unterfangen, doch die Suche begann. Signaturen, Stempel oder andere Kennzeichen mussten ausgewertet werden und die Eigentümer, die sich dahinter verbargen recherchiert werden. Diese drei Handschriften konnten bis 2010 nicht zugeordnet werden. Ein Zufall ist es manchmal, der hilft, so auch in diesem Fall.